Lichtspuren von Scheinwerfern oder Rücklichtern sind attraktive Motive. Diesmal will ich hinter dem Berninapass eine Kurve in den Fokus rücken.
Nach dem Ospizio Bernina, wo sich Bär und Wolf gute Nacht sagen, einen Kilometer hinunter auf 2230 Metern Höhe, dort liegt die erste Haarnadelkurve im Puschlav. Es ist meine Lieblingskurve. 180 Grad dreht sie in einer cupierten Landschaft, die nicht zu flach, aber auch nicht zu steil abfällt. Mir ist sie auch wegen der guten Zugänglichkeit aufgefallen: In ihrer Innenseite hat es grosszügig Platz, um das Auto abzustellen.
Fotografisch ist die Kurve interessant, weil der Aufnahmestandort sowohl in der Distanz als auch in der Höhe flexibel verändert werden kann. Haarnadelkurven gibt es in den Bergen zwar zuhauf, aber entweder stören eine unzugängliche Stützmauer, Leitplanken oder dann ist sie in den Fels geschlagen, dass ich die Kurve mit meinem Objektiv nicht ganz abbilden kann. Die Grafik zeigt die möglichen Probleme an.
Natürlich erkundige ich die Kurve tagsüber mit der Kamera und suche mir die Idealposition aus. Ich stelle mir vor, wie es dann nachts sein wird, wenn die Autos ihre Lichtspuren durch die Kurve ziehen.
Ende Juni beginnt es um etwa 21.45 Uhr zu dämmern, dann will ich vor Ort sein und die Kamera aufs Stativ montiert und eingestellt haben. Um 22 Uhr geht’s dann in der Blauen Stunde los. Die Blaue Stunde ist deshalb attraktiv, weil in dieser Zeit der Himmel intensiv blau auf den Sensor gebannt wird – später in der Nacht ist der Himmel schwarz und dem Foto fehlt es dann etwas an Farbe. Leider – der Nachteil im Sommer – ist das Verkehrsaufkommen äusserst bescheiden. Der Feierabendverkehr ist längst vorüber, die Touristen sind zu Hause. Nur ab und zu ein einsames Auto, die Warterei stellt mich auf eine Geduldsprobe. Das nächste Mal fotografiere ich im Herbst, wenn die Blaue Stunde mit dem Feierabendverkehr zusammenfällt. Immerhin brauche ich ja nicht Dutzende von Aufnahmen, ein paar wenige genügen. Entgegenkommende Autos zeichnen weisse, wegfahrende Autos rote oder orange Lichtspuren.
Es ist wichtig, das Stativ auf festen Grund zu positionieren, eventuell sogar etwas in die Erde einzugraben oder mit Felsbrocken zu beschweren. Es reicht nicht, wenn das Stativ auf einer federnden Wiesen-Moos-Decke steht. Vor allem bei Wind sollte das Stativ bei diesen langen Belichtungszeiten fest verankert stehen. Ich lasse das Stativ an einem einzigen Ort, denn die Lichtspuren kann ich später in Photoshop stacken (s. unten).
Kameraeinstellungen
Die Belichtungszeit ermittle ich mit einer Probebelichtung, sie hängt von der Distanz der Lichtspuren ab, die ich auf dem Foto will. Die Autos sind etwa während 20 Sekunden auf dem Bild, durchfahren die Kurve und beschleunigen danach auf der Geraden wieder. Als Blende wähle ich f/5, dies ist die Blende mit der nötigen Schärfentiefe, die von etwa 10 Meter bis unendlich reichen sollte. Um möglichst wenig Bildrauschen zu haben, stelle ich den ISO-Wert auf 100. Mit zunehmender Dunkelheit erhöhe ich den Wert später auf 400. Es ist besser, das Bild mit einer höheren ISO-Zahl einigermassen hell auf dem Display zu haben, und es dafür in Photoshop nicht allzu sehr aufhellen zu müssen. Wenn das Bild auf dem Display zu dunkel gerät, kann ich es in der Nachbearbeitung zwar aufhellen, gleichzeitig wird sich jedoch starkes Bildrauschen bemerkbar machen.
Postverarbeitung
Bei jeder Nachtaufnahme ist die Nachbearbeitung fast zwingend, um eindrucksvolle Resultate zu erzielen. Ich zeige es dir in Photoshop, du kannst aber auch eine andere Software benützen.
Zuerst öffne ich die einzelnen Aufnahmen, die alle andere Lichtspuren zeigen:
Ich ziehe alle Aufnahmen ins gleiche Fenster und erhalte so drei Ebenen:
Benenne die unterste Ebene Hintergrund in Ebene 0 um. Beachte nun den Modus, der über den Ebenen mit Normal bezeichnet ist. Zuerst aktiviere ich alle drei Ebenen, dann klicke ich auf den Pfeil rechts beim Modus Normal. Jetzt klappt ein Popup auf:
Wenn du den Modus auf Aufhellen stellst, wird Photoshop die hellen Bildstellen aller drei Ebenen ineinander verrechnen. So entsteht ein neues Foto aus der Kombination von drei unfertigen Bildern.
Auf die gleiche Art kannst du verschiedene Bilder ineinander verrechnen, um das Resultat zu steuern.
Die Scheinwerfer erleuchten auch die nahe Umgebung in der Kurve, was eine unerwünschte Betonung von Wiese und Fels verursacht. In Photoshop wähle ich das Nachbelichter-Werkzeug, in der Menüleiste oben bei Bereich je nach Bedarf Lichter oder Mitteltöne. Ich pinsle über die hellen Wiesen- und Felsstellen bis sie zugedunkelt erscheinen.
Je nach Verkehrsaufkommen, Belichtungszeit und der Kombination in Photoshop gelingen dir unterschiedliche Bildwirkungen.
Hier aus einer etwas erhöhten Kameraposition, die eine andere Perspektive eröffnet. Die beiden Lichtspuren kommen sowohl von der Front- als auch der Heckbeleuchtung schön zur Geltung.